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Burkina Faso-Buchpräsentation
Dienstag, 3. Oktober 2017, 19:00 - 21:00
kostenlosIst es die weltweit letzte “wirkliche“ Revolution, die im August 1983 im Herzen des Sahel, in Ouagadougou, die von den französischen Kolonialherren eingesetzten Statthalter vom Thron stößt und in der Folge überall, in den Bezirken der Hauptstadt, in Betrieben und im Heer ebenso wie im abgelegensten Dorf, Revolutionsverteidigungskomitees einsetzt? Während vier kurzer Jahre wird versucht, landesweit die Verhältnisse von Grund auf zu verändern. Frauen werden ernster genommen, bis dahin politisch stumme LandbewohnerInnen rücken ins Zentrum wirtschaftspolitischer Aufmerksamkeit.
Die erste Hälfte dieses Buches begleitet Burkina Faso – das Land der Integren – durch seine Geschichte. Von der Zeit “vor der Schrift“ geht es zu den ersten Kontakten mit europäischen Reisenden, die meist im Auftrag von Möchtegern-Kolonialmächten unterwegs sind. Frankreich kann sich schließlich durchsetzen, auf Verträge folgen die Mühen der tatsächlichen Landnahme. Weitgehend in den heutigen Grenzen wird 1916 eine Kolonie “Obervolta“ geschaffen. Ihre Rolle im französischen System ist die des Arbeitskräftereservoirs für die benachbarte Côte d’Ivoire, das Land selbst wird kaum “in Wert gesetzt“. Von Paris 1960 in die “Unabhängigkeit“ verstoßen, tun sich auch die neuen einheimischen Herren bei der “Entwicklung“ des Landes nicht hervor. Erst die Revolution von 1983 bringt wesentliche Impulse. Innert kurzer Zeit bewegt sich mehr als in den Jahrzehnten davor. Mit der Ermordung Thomas Sankaras 1987 findet das Bemühen um eine grundlegende Transformation jedoch ein jähes Ende. Der Hintermann des Mordes, Blaise Compaoré, “rektifiziert“ zuallererst die Revolution: Er steuert das Land zurück auf den neoliberalen Weg, den die nunmehr als entwicklungshelfende Gläubiger auftretenden Neokolonialmächte schätzen. Unter demokratischem Deckmantel konsolidiert er ein semi-autoritäres System und bleibt 27 bleierne Jahre lang an der Macht. Ende 2014 wird er per Volksaufstand verjagt. Nach einjähriger Übergangszeit samt abgewehrtem Putschversuch wird eine Equipe an die Staatsspitze gewählt, die tief im alten Machtapparat wurzelt. Kann und will sie Wandel und grundsätzliche Besserung bewerkstelligen und so die angestauten Erwartungen und Hoffnungen erfüllen?
In der zweiten Hälfte des Buches stehen endlich Frauen im Mittelpunkt. Im burkinischen Patriarchat ist ihnen eine Statistinnen-Rolle zugewiesen. Entsprechend sind sie in der offiziellen Geschichte nur selten sichtbar. Aber: Wenn das Land bis heute überlebt hat, die auf überaus periphere Art ins Weltsystem integrierte Ökonomie ebenso wie einzelne Haushalte, dann dank seiner Frauen. Sie tragen mehr als 70% zur Volkswirtschaft bei, insbesondere am Land, wo Ackerbau und Viehzucht drei Viertel der Bevölkerung beschäftigen und ernähren. “Familienoberhaupt“ ist immer der Mann, aber nur für wenige Familien wäre der Ausfall der Frau nicht existenzbedrohend.
Statt Dank ernten Frauen und Mädchen oft Gewalt. So geht es in dieser zweiten Buchhälfte unter anderem um Polygynie (“Vielweiberei“), Kinderhochzeit, zu frühe Schwangerschaften und Geburten, um Hexereivorwürfe und das Vertreiben von “Hexen“, und um Exzision, die v.a. an kleinen Kindern praktizierte Form des Zurechtschneidens des weiblichen Geschlechts.
Des Ertragens und Unterwerfens ist schon lange genug. Doch noch deutet nichts auf ein Rebellieren der Frauen.
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